Konflikte
Zur Einleitung finde ich am besten, wenn ich die etymologische Herkunft des Wortes Konflikt erkläre, denn dadurch kann man die Bedeutung des Wortes gut verstehen. Das Wort stammt aus der lateinischen Sprache, aus den Wörtern „con“ und „fligere“ und die ursprüngliche Bedeutung war miteinander stoßen, oder zusammenstoßen, z.B. mit zwei Steinen bei Entzündung des Feuers. Und im übertragenen Sinne wird das Wort zur Bezeichnung eines allgemeinen Zusammenstoßes verwendet, z.B. Zusammenstoßes von zwei unterschiedlichen Tendenzen, Meinungen. Solche Konflikte sind allgegenwärtig. Es kann sich handeln um ein Kriegskonflikt zwischen zwei Gruppen von Menschen, Meinungskonflikt zwischen einem Ehepaar, oder Konflikt von unterschiedlichen Ideologien. Unsere Gesellschaft ist voll von verschiedenen Arten von Konflikten. Diese äußeren Konflikte interessieren uns jedoch im Moment nicht. Wir interessieren uns um psychologische Konflikte, d.h. Konflikte, die sich zwischen zwei oder mehreren Motivationssystemen in uns selbst abspielen.
Vielleicht sind wir uns dessen nicht bewusst, aber wir sind ständig voll von inneren Konflikten, die sich in uns selbst abspielen. Z.B. ein Teil von uns selbst sehnt nach intimem Kontakt mit anderem Menschen, und ein anderer Teil von uns lehnt diesen ab. Ein Teil von uns möchte eine tiefe Veränderung in unserem Leben verwirklichen, aber ein anderer Teil hat davon Angst und möchte für jeden Preis den „status quo“ behalten. Ein Teil von uns ist selbstisch und rücksichtslos, ein anderer Teil möchte gut und mitleidig sein. Ein Teil ist neidisch, und ein anderer Teil hat deswegen Selbstvorwürfe. Als ob wir aus mehreren unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammengesetzt wären, die Miteinander ständig um die Kontrolle unseres Verhaltens kämpfen. In einem Moment hat die Kontrolle ein Aspekt von uns, in anderem Augenblick übernimmt die Kontrolle ein anderer Aspekt. Und diese Aspekte sind unvereinbar miteinander, eine schließt die anderen aus. Ein innerer Konflikt grundsätzlich bedeutet, dass ein Teil unserer Seele versucht, andere Teile unserer Seele zu verdrängen, z.B. unser Verstand versucht eigene Angst oder Sexuallust zu verdrängen. In einem Konflikt verneinen oder leugnen wir ständig ein Teil von sich selbst. Konflikte existieren auf allen Ebenen unseres Wesens, auf der Ebene der Gefühle, auf der Ebene des Denkens, sowie auch auf der Ebene des Handelns. Wir denken etwas, aber wir tun etwas anderes. Wir fühlen etwas, aber wir sagen etwas anderes. Es gibt bedeutungslose oberflächliche Konflikte, aber es gibt auch schwerwiegende krankmachende Konflikte. Die schwersten Konflikte sind unbewusst.
Ein bisschen Geschichte
Sigmund Freud: Alle haben gehört über Sigmund Freud und seiner Psychoanalyse. Was aber nicht alle wissen ist, dass Konflikt für ihn das zentrale Konzept in seiner Erklärungen davon war, wie geistige Krankheiten entstehen. Freud hat vermutet, dass es in jedem von uns unterschiedliche Teile existieren und zwischen diesen Teilen Konflikte, d.h. Zusammenstoße, entstehen können. Seiner Theorie nach befindet sich jeder von uns, d.h. unseres Ich (Ego) zwischen 3 unterschiedlichen Mühlsteinen, die ständig Anforderungen auf unseres Verhalten stellen. Das erste Mühlstein heißt Es (Id) und in diesem Mühlstein befinden sich unsere angeborenen Instinkte und Triebe, vor allem der Sexualtrieb und Aggressionstrieb. Wir haben über unsere Triebe keine rationale Kontrolle und können die nicht bewusst entfernen, wir können sie nur verdrängen. Der zweite Mühlstein heißt Über-Ich (Superego). In diesem Mühlstein befindet sich unseres Gewissen, alle die Gebote und Verbote, die wir durch unsere Erziehung aus der Gesellschaft verinnerlicht haben. Der dritte Mühlstein ist die äußere Realität, d.h. die Gesellschaft, in der wir momentan leben. Alle diese Mühlsteine stellen auf uns bestimmte Anforderungen und drängen uns zum bestimmten Verhalten. Und zwischen diesen Mühlsteinen können Konflikte entstehen.
Konflikt Es Superego: Zum einfachen Veranschaulichen, stellen wir uns vor einen homosexuellen Mann, der in einer strengen Katholischen Familie erzogen wurde. Auf der einen Seite gibt es in seinem Es seine Sexualität, über die er keine Kontrolle hat. Auf der anderen Seite hat er in seinem Über-Ich starke Hemmungen, denn er denkt, dass Homosexualität gegen Natur und Gott sei. Deshalb kommt es zu einem Konflikt.
Konflikt Es vs. Realität: Z.B. der Mann aus vorherigem Beispiel hat Konflikt mit den Vorurteilen in der Gesellschaft, wo er lebt. Deshalb entstehen in ihm Hemmungen, er darf eine Sexualität nicht öffentlich zeigen.
Konflikt Superego vs. Realität: Dieser Konflikt ist selten. Stellen wir uns vor, dass wir in eine fremde Kultur kommen, wo die normen mit unserem Gewissen nicht übereinstimmen, z.B. das Verbrennen der Witwen in Indien mit dem verstorbenen Ehemann oder die Bescheidung der Mädchen in Afrika.
Der Freuds Theorie nach befindet sich jeder Mensch zwischen diesen drei Mühlsteinen und seine ständige Aufgabe es ist, zwischen diesen drei Kompromisse zu suchen. Wenn es ihm gelingt, gibt es kein Problem, wenn es ihm aber nicht gelingt, kann es zu Auslösung verschiedener seelischen Problemen führen. Der zentrale Konflikt für Freud war der Konflikt zwischen der Sexualität und der gesellschaftlichen Normen. Zum Schluss eine interessante Vermerkung. Freud war durch die Naturwissenschaften und besonders Physik inspiriert. In der Physik gibt es eine Disziplin der Mechanik, die sich mit Kräften beschäftigt. Diese Disziplin heißt Dynamik. Freud hat sich ähnlich vorgestellt, dass in jedem Zeitpunkt das innere Leben vom Menschen durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Kräfte bestimmt wird, deshalb hat er seine Lehre als Psychodynamik bezeichnen, d.h. Lehre über die psychologischen Kräfte (=Motive), die das psychologische Leben bestimmen.
Meiner Meinung nach ist die Theorie Freuds zu schematisch und vereinfacht. Auch die Trennung der Seele in die Instanzen ist teilweise künstlich. Ist zum Beispiel Mitleid als einer der menschlichen Motive Teil des Über-Ichs (d.h. etwas gelerntes durch die Erziehung und erzwungen durch die Gesellschaft), oder ist es eine angeborene Reaktion, d.h. gehört es zum Es?
Weitere Entwicklung: Seit Freud wurden in der Weiterentwicklung der Psychoanalyse immer wieder neue Konzepte vorgestellt, in denen die Grundkonflikte des Menschen differenziert und spezifiziert wurden. Die Entwicklung neuer Konflikttheorien ist eng verknüpft mit der Erforschung von Grundbedürfnissen und zunehmenden Erkenntnissen aus der Entwicklungspsychologie. Das differenzierteste und heute anerkannteste Modell der Grundkonflikte wird in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) beschrieben
1. Abhängigkeit/Autonomie: Im einen Extrem würde ein Mensch mit diesem Grundkonflikt eine Abhängigkeit erzeugende Beziehung suchen als „willkommene Abhängigkeit“. Im anderen Extrem eine emotionale Unabhängigkeit aufbauen und die Bindungswünsche unterdrücken.
2. Unterwerfung/Kontrolle: Im einen Extrem nimmt der Mensch die Gegebenheiten hin als Schicksal, dem er sich fügt, dabei sind Erleben und Verhalten geprägt von Gehorsam und Unterwerfung. Im anderen Extrem bestimmen Kontrolle und Auflehnung („Bekämpfen“) das Erleben und Verhalten.
3. Versorgung/Autarkie: Im einen Extrem führen Versorgungs- und Geborgenheitswünsche zu starker Abhängigkeit und der Mensch wirkt passiv und anklammernd. Im anderen Extrem nimmt der Mensch keine Hilfe an und wehrt die Wünsche nach Hilfe ab, indem er sich als anspruchslos darstellt. In einer altruistischen Konfliktverarbeitung bekommen Andere die Versorgung, nach der er sich selbst unbewusst sehnt.
4. Selbstwert/Objektwert: Es bestehen Selbstwertkonflikte, die im einen Extrem als Minderwertigkeit erlebt werden, während Andere aufgewertet oder idealisiert werden. Im anderen Extrem werden kompensatorische Anstrengungen erbracht, die das Selbstbild bis hin zum Größenwahn stützen, während Andere abgewertet werden.
5. Über-Ich- und Schuldkonflikte: Im einen Extrem führt die Schuldübernahme bis zur masochistischen Unterwerfung. Im anderen Extrem sieht der Mensch die Schuld nur beim anderen, wobei ihm jegliche Form eines eigenen Schuldgefühls fehlt.
6. Ödipal-sexuelle Konflikte: Im einen Extrem nimmt der Mensch seine Erotik und Sexualität nicht wahr, im anderen Extrem bestimmt sie alle Lebensbereiche, ohne dass eine Befriedigung gelingt. Dies meint nicht sexuelle Funktionsstörungen anderer Herkunft.
7. Identitätskonflikte: Bei sonst hinreichenden Ich-Funktionen übernimmt der Mensch die Geschlechts-, Rollen oder Gruppenidentität anderer oder überspielt die Identitätsambivalenz kompensatorisch.
8. Fehlende Konflikt- und Gefühls- Wahrnehmung: Bei diesem Grundkonflikt werden Konflikte, Gefühle und Bedürfnisse bei sich und anderen nicht wahr genommen oder sie werden durch sachlich-technische oder philosophische Beschreibungen ersetzt.
Meine eigenen Gedanken zum Thema der Konflikte.
Das Konzept der seelischen Konflikte ist meiner Meinung sehr wichtig und die psychologischen Konflikte allgegenwärtig, und zwar genauso bei psychologisch gesunden Menschen, sowie auch bei Neurosen und Psychosen. Jedes Nervensystem hat in sich die implizite Notwendigkeit zum Konfliktlösen aufgebaut. Sogar eine Bakterie muss schon Konflikte zwischen zwei unterschiedlichen Reizen der Umgebung lösen. Meiner Meinung nach, der breiteste und allgemeinste Rahmen, in dem man Konflikte beschreiben kann, ist der Prinzip der Lust und Unlust (Aversion). Das Prinzip der Lust und Unlust ist der trivialste und gleichzeitig der allgemeinste Gesetz des Funktionierens der menschlichen Psyche. Eine ganz besondere und grundsätzliche dominante Rolle bei der Regulation menschlichen Verhaltens und Entscheidens spielen Emotionen und man kann die Emotionen entsprechend in affine und aversive unterteilen. Der Konflikt kann dann als Konflikt zwischen diesen Emotionen beschrieben werden.
Eine kurze Zusammenfassung der Lust und Unlust.
Die menschliche bewusste, sowie auch unbewusste Psyche richtet sich nach dem Prinzip der Lust und Unlust. Wir suchen Lust in unterschiedlichen Formen und wir vermeiden unlustige Erfahrungen und Gefühle, dementsprechend kann man auch die menschlichen Gefühle in zwei Arten unterteilen, d.h. euphorische (Freude, Hoffnung, Lust), aversive (Schmerz, Angst, Leiden). Es gibt auch Gefühle, die neutral sind (Neugier) oder die beide Komponenten enthalten (Hass, Neid). Es gibt mehrere Lebensbereiche, aus welchen die Menschen Lust gewinnen. Auf der einen Seite ist es der Bereich der körperlichen Genüsse, der eng mit dem Bereich der Sexualität zusammenhängt. Sexualität ist ein mächtiger psychophysischer Trieb, der sowohl körperliche Komponenten, als auch bewusste und unbewusste psychische Repräsentationen hat. Der Einfluss der Sexualhormone auf die Zentren im Gehirn ist gut bewiesen. Die Sexualität in uns bestimmte Spannung erzeugt und sammelt, die regelmäßig entladen werden muss. Diese Entladung ist mit Lustgefühlen verbunden. Es gibt ein Bereich der Sinnesgenusse. Die Lust entsteht durch Schönheit und neue stimulierende Erlebnisse der schönen Natur, der Kunstwerke, Musik, Literatur. Wir suchen ständig nach neuer Stimulation. Es gibt ein Bereich der physischen sowie auch psychischen Sicherheit. Ein grundlegendes Bedürfnis der Menschen ist es, sich sicher zu fühlen. Dieses Streben nach Sicherheit äußert sich in der Sehnsucht nach Besitz. Wir wollen uns alles aneignen, Dinge, Menschen, Geld, Wissen, Liebe. Wenn wir uns etwas aneignen, dann empfinden wir Lust. Wir empfinden Lust auch daraus, was wir schon angesammelt haben. Es gibt ein Bereich des gesellschaftlichen Status. Wir wollen Status, Respekt, Erfolg, Ruhm, da wir daraus unseren Wert ableiten können. Wenn wir uns als wertvoll und mächtig erleben, dann haben wir Lust. Es gibt ein Bereich der Liebe. Wir alle wollen lieben und geliebt werden und wenn wir unsere Wünsche nach Intimität befriedigen können, dann fühlen wir Lust. Auf der anderen Seite gibt es mehrere Bereiche, aus welchen die Menschen Unlust ableiten. Auf der niedrigsten Ebene ist es körperliches Leiden, Schmerz, Krankheit, Hunger usw. Alle diese körperlichen Zustände haben entsprechende Repräsentation auch in der Psyche. Wir empfinden Unlust bei Verlust von Besitz oder Liebe oder Perspektive. Wir empfinden Unlust bei Unsicherheit. Wir leiden wegen Tod, wegen Einsamkeit, weil wir keine Erfüllung finden können. Wir leiden durch Minderwertigkeit und negatives Selbstbild. Wir leiden durch innere Leere, Sinnlosigkeit usw. Wir verbringen unser ganzes Leben mit der Suche nach Lust und mit Vermeiden von Unlust. Es ist unsere grundlegende instinktive Ausrüstung. Problem entsteht, wenn die Konflikte auf die Szene kommen.
Klassifizierung der Konflikte
Konflikt Lust-Lust: Wir müssen uns für eine aus zwei angenehmen Alternativen entscheiden, wobei wir nur eine haben können, da die eine schließt die andere aus. Die Lösung erfolgt dadurch, dass eine der Alternativen wird mehr attraktiv als die andere.
Konflikt Unlust-Unlust: Wir müssen uns für eine aus zwei unangenehmen Alternativen entscheiden. Die Entscheidung ist verschoben, bis eine Alternative als weniger unangenehm erscheint.
Konflikt Lust-Unlust: Hier gehören ambivalente Beziehungen, z.B. eine attraktive Frau mit unangenehmen Verhalten. Der Gewinn einer Lust führt gleichzeitig auch zur Unlust.
Konflikt eines Motivs in zwei Zeiten: Ein Ereignis kann in einem Zeit zu Lust führen aber später zur Unlust. Untreue kann in einem Augenblick angenehm sein, später aber sehr unangenehm, wenn es zu einer Trennung kommt.
Die Folgen von Konflikten:
Wozu führen Konflikte? Was ist ihre Auswirkung auf unser Leben? Sie führen dazu, dass wir uns in unserem Leben verklemmen und bewegen uns nicht weiter. Es ist wie in der Physik – wenn zwei Kräfte mit selben Stärke aber mit entgegen gesetzter Richtung für ein Seil ziehen, dann bewegt sich das Seil nicht und zusätzlich entsteht in ihm eine innere Spannung. Diese Spannung wird als unangenehm empfunden. Viele Menschen stecken in unterschiedlichen Konflikten und bewegen sich nicht weiter. So kann der eine zwischen einem Wunsch nach Arbeitsplatzwechsel und der Angst vor Sicherheitsverlust und vor Neuem stehen. Da diese Zwei Motive ungefähr gleich stark sind, bleibt er auf der Stelle stehen. Der andere kann sich nach Intimität und Liebe sehnen, hat jedoch bewusst oder unbewusst Angst vor Nähe und Abhängigkeit, und so bleibt er in dem Konflikt verklemmt. Wir bewegen uns lebenslang in einem Korridor verschiedener Gewinnen und Verluste und den Konflikten zwischen ihnen, bewussten sowie auch unbewussten, und wir müssen ständig ein dynamisches Gleichgewicht zwischen ihnen finden. Das gilt für jeden Menschen ohne Ausnahme. Wir alle leben innerhalb ständiger Konflikte, vom Handwerker bis zu Wissenschaftler. Meistens finden wir zwischen diesen Konflikten ein Gleichgewicht, obwohl manchmal wackeliges. Wenn es aber nicht gelingt, dann können Konflikte zu unterschiedlich schweren psychologischen Störungen führen. Die schwierigsten Konflikte sind die unbewussten Entwicklungskonflikte.